G A L E R I E    K A R I N    S A C H S
 
 
 

SONJA HAMAD

 »Jin – Jiyan – Azadi« Women, Life, Freedom

24. Juni  –  22. Juli 2017



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Man sagt, dass der Tod durch die Hand einer Frau potentiellen Märtyrer den Weg ins Paradies versperrt. Vielleicht liegt es daran, dass mittlerweile immer mehr kurdische Frauen in den Widerstand gegen den IS gehen. Dort legen sie ihre alten Namen ab, wählen sich in einem ersten Akt der Selbstbestimmung neue aus und werden alle zu »Haval« – zur Freundin der anderen. Die Arbeit »Jin – Jiyan – Azadi« Women, Life, Freedom versucht, den kollektiven Sehnsüchten der kurdischen Freiheitskämpferinnen nachzugehen. So werden nicht nur die individuellen Züge der Frauen eingefangen, vielmehr zeigt sich, was ihre Schicksale miteinander verbindet. Zugleich sind Bilder entstanden, die einen Blick auf ihr Umfeld ermöglichen; auf jene poetische Art, die die kurdische Kultur selbst in sich trägt. Etwa der Blick auf Kobane, das in vielen Ecken zu einer Geisterstadt geworden ist. Wo Häuser oft nur noch von Erinnerungen getragen werden, wo die Wände zerschossen sind, die leeren Fensterrahmen verloren gegangene Räume zeigen. Zerfetzte Gemütlichkeit, die in all der Zerstörung melancholisch wirkt.

Schuss und Gegenschuss, nicht als kriegerische Handlungen verstanden, die das Leben der Kämpferinnen so oft bestimmen, sondern als fotografische Perspektiven. Dabei entsteht eine Brücke zwischen der Fotografin und den Kämpferinnen. In der dokumentarischen Auseinandersetzung zeigt die Arbeit Frauen, die einen brutalen Kampf gegen den monströs wirkenden IS führen müssen. Sie riskieren ihr Leben für ein Land, das es noch nie gab und von dem doch jeder Kurde weiß, wo seine Grenzen verlaufen würden. Dieser schmale Streifen Heimat, das wilde Kurdistan, ein Sehnsuchtsort aus Bergen und Tälern, der von allen Seiten angegriffen wird. Es geht ihnen dabei jedoch nicht nur um ihr Überleben, sondern auch um ein selbstbestimmtes Leben, um ihre Freiheit und ihre Unabhängigkeit. Der Befreiungskampf ist existentiell. Nachts fallen Bomben, man spürt die Detonationen, niemand schläft, doch am nächsten Tag geht der Kampf weiter. Wenn eine von ihnen stirbt, wird nur einen Tag lang getrauert. Die Kameradinnen schießen mit ihren Kalaschnikows in die Luft, um sie zu ehren, auf einem kargen Friedhof, auf dem nur Plastikblumen blühen. Die Gefahren und die Verluste sind real, aber es bleibt keine Zeit, sie zu verarbeiten. Wenn die Kämpferinnen Angst haben, singen sie diese weg. Und auch wenn sie um eine gefallene Kameradin trauern, singen sie. Es sind diese Momente, die zerbrechlich und schön sind, Momente, in denen Brutalität auf Poesie trifft.

Doch wenn dieser Krieg gewonnen ist, so erzählt eine der »Töchter der Berge«, beginnt der eigentliche Kampf erst. Denn die Bedrohung kommt sowohl von außen durch die Übergriffe des IS, als auch von innen. Ihr Befreiungskampf richtet sich ebenso gegen alte gesellschaftlicheTraditionen, in denen sie gleichfalls unterdrückt werden. In dem Niemandsland, in dem sie jetzt leben, sind sie vogelfrei, doch in der kurdischen Tradition, aus der sie kommen, waren sie ebenfalls rechtlos. Nun eröffnet ihnen der Ausnahmezustand die Möglichkeit, etwas zu verändern. Es sind die Frauen, die am wenigsten zu verlieren haben und am meisten zu gewinnen.

Sonja Hamads Bilder zeigen diese jungen Frauen, fast noch Mädchen, die gleichermaßen verwundbar wie zutiefst entschlossen sind. Und die fest daran glauben, dass sie stärker sein können als die Männer, von denen sie seit Jahrzehnten unterdrückt werden. Sie alle tragen ihre Narben wie Auszeichnungen. Und hin und wieder blitzen unter den Uniformen farbenfrohe, beinahe kindlich anmutende Hemden hervor.

Text: Hannah Zufall



Sonja Hama hat das Studium der Fotografie an der Berliner Ostkreuzschule absolviert. Nach Ausflügen in die Werbe-Fotografie widmet sich die 30-Jährige seit 2015 der journalistischen Fotografie. Sie wurde unter anderem für ihre Arbeit mit dem Best Portfolio Award der Portfoliosichtung vom Freundeskreis des Hauses der Photographie im Rahmen der Triennale der Photographie ausgezeichnet.


SONJA HAMAD

»Jin – Jiyan – Azadi« Women, Life, Freedom

23 June  –  22 July  2017

They say that the death by a woman’s hand blocks the way to paradise for potential martyrs. That might be the case since more and more Kurdish women take part in the resistance against IS now. They give up their old names choosing a new one in an initial act of autonomy and becoming all »Haval«– a friend of the others. The project »Jin – Jiyan – Azadi« Women, Life, Freedom attempts to trace sensitively the collective longings held by the Kurdish freedom fighters. In that course, not only the individual traits of these women are captured, but it is also shown what it is that connects their destinies. At the same time, pictures became possible that uncover a view on their environment; in the poetic way that the Kurdish culture contains within itself. Such as the view on Kobane, having become a ghost city in a lot of its part; where buildings are often only carried by memories, where walls are shot to pieces; where empty window frames show lost spaces. A ragged cosiness that appears to be melancholic in all this destruction.

Shot and reverse shot, not understood as militant act governing the life of the female fighters so often, but rather as photographic perspectives. And then, a bridge between the photographer and the fighters emerges. And so, this project by its documentary involvement shows women who have to lead a brutal fight against the monstrously operative IS. They are risking their lives on behalf of a country that has yet never existed and, though, of which every Kurdish knows where its borders were located; this narrow strip of a homeland, the wild Kurdistan, a mountain and valley spot of longing, that gets attacked from every angle. However, it is not only about their survival, but more about a self-determined existence, about their freedom and independence. This fight for deliverance has an existential note to it. There is bombing during the night, one feels the detonations, no one sleeps, and yet the fight goes on the upcoming day. If one of them dies, the others mourn only one day. The comrades shoot with their Kalashnikovs in the air to honour her, on a sparse cemetery, where only plastic flowers can blossom. The hazards and losses are real, but there is no time left to process them. When the fighters are frightened, they sing it away. And even while grieving for a comrade killed in action they are singing. These are the moments that are fragile as well as beautiful, moments where brutality meets poetry.

Yet, as soon as this war will be won, one of the »mountain’s daughters« states, the real fight just begins. Since the threat comes from the outside by IS incursions and from the inside. The fight for deliverance is equally directed toward old social tradition by which they are still suppressed. Within this no-man’s-land they are living in right now, they are outlawed, but in the Kurdish tradition in which they were growing up, they remained without rights too. Now, the emergency situation opens up for them the possibility to change something. These are the women who have to lose the least and to gain the most.

Sonja Hamad’s pictures show these young women, almost girls still being vulnerable and utterly determined at the same time. And who believe deeply that they can be stronger than those men by which they had been suppressed for decades. They all carry their scars like awards. And once in a while, colourful shirts striking as almost childish come to the fore under their uniforms.

Text: Hannah Zufall